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FILM- UND VIDEOKUNST IN KROATIEN

FRAGMENTARISCHE ABRISSE

EINER GESCHICHTE UND STANDORTBESTIMMUNG

Heiko Daxl, August 1993

Wer interessiert sich fuer Kunst, Kultur und Medien in Zeiten des Krieges in einem wirtschaftlich bankrotten Land wie Kroatien eines ist? Die Politik verfolgt (zwangsweise) andere Ziele als kulturelle, doch im persoenlichen Leben der Menschen spielen kulturelle Faktoren eine hochrangige Rolle, um Perspektiven und auch Ablenkung zu haben von den taeglichen Problemen. So wurden selbst, als Granaten einschlugen und Bomben fielen, Ausstellungen gezeigt, Theater aufgefuehrt und Konzerte gegeben. Dies ist auch ein Weg, sich gegen Barbarismus zu schuetzen und zu wehren. Eigentlich ueberlebte politische Maschinerien zettelten, um ihre Macht zu erhalten, die Auseinandersetzungen an, oeffneten die Buechse der Pandora, schuerten Misstrauen und Hass gegen vermeintlich Andere und setzten einen Krieg in Gang, in dem nicht sie, sondern die Menschen zu Opfern wurden. Und fuer diese ist Kultur vielleicht das einzige Mittel eines ethischen Ueberlebens.

Doch wenden wir ersteinmal den Blick zurueck und schauen ein wenig in die Geschichte. Hierbei wollen wir nicht, wie es heute so gern getan wird, isoliert nur Film und Video als Gattungen betrachten, sondern vielmehr das Augenmerk auf die Verknuepfung der verschiedenen Kuenste untereinander und deren gegenseitiger Beeinflussung richten. Wenn man nun die Geschichte Kroatiens, als eines der juengsten Laender Europas betrachtet, so muss man auch immer auf die Geschichte Jugoslawiens schauen. Aber dennoch lassen sich auch Ereignisse, Namen und Tendenzen rein auf Kroatien und im Besonderen auf Zagreb beziehen, denn jede Region in Jugoslawien hatte sein eigenes kulturelles Zentrum, seinen eigenen geschichtlichen Hintergrund und Zugang zu den Kuensten.

Die Entwicklung des Films nach dem zweiten Weltkrieg war zunaechst bestimmt durch die Glorifizierung des Partisanenkrieges und der sozialistischen Errungenschaften in Titos Jugoslawien, eine Thematik, die bis zu Titos Tod 1980 immer wieder im Film auftauchte. Der Bruch Jugoslawiens mit der politischen Doktrin der Sowjetunion unter Stalin im Jahre 1948 fuehrte zu einer Politik des gemaessigten Kommunismus, der Oeffnung nach Westen und der Blockfreiheit. Hierdurch wurden auch Freiraeume ermoeglicht, die es der folgenden Generation erlaubten, Erfahrungen in den westeuropaeischen Laendern und Nordamerika zu sammeln. Das Filmstudium, welches es offiziell garnicht gab, bestand aus dem endlosen Ansehen von Filmen. Die ersten wichtigen Filme aus dieser Zeit dokumentieren einen Aufbruch, aus dem vieles Neues entstand.

Ab Mitte der Fuenfziger Jahre entwickelten die Studios in den Teilrepubliken eigene Konzepte und die Regisseure (z. B. Nikola Tanhofer, Zvonimir Berkovic, Ante Babaja, Kreso Golik und Branko Belan), die allesamt Autodidakten waren, konnten einige bemerkenswerte auch international beachtete Filme realisieren. Besonders auf dem Gebiet des Animationsfilms hat es in der Fortfuehrung der Arbeiten der Gebrueder Neugebauer in der Zagreber Schule fuer Animationsfilm mit Dusan Vukotic, Vatroslav Mimica, Vlado Kristl u. a.. neue Formen entwickelt, die, abgewandt vom Disneyschen Stil, ihre Anregungen eher in der modernen Malerei fanden, die anders als in den Staaten des Ostblocks eine stark abstrakte Auspraegung hatte.

Seit den spaeten Fuenfziger und fruehen Sechziger Jahren gab es neben den Spielfilmproduktionen im Inland viele internationale Co- Produktionen (meist Spionage-, Kriegs- und Actionfilme und besonders Verfilmungen der Buecher Karl Mays). Jugoslawien war als Location gefragt wegen hochqualifizierten Spezialisten, spektakulaeren Landschaften und Massen billiger Statisten. Aber es gab auch andere Felder des Films. Wie in den meisten Laendern des Ostblocks ist im Film vieles auch in den sogenannten Kinoclubs entstanden. In den Kinoclubs organisierten sich Filminteressierte, die ausserhalb des staatlich gelenkten oder finanzierten Kinos eine Alternative zu den gaengigen Filmformen zu entwickeln suchten.

Anfang der sechziger Jahre oeffnete sich das Land und es formierte sich in Zagreb die Bewegung "Nova Tendencija" (Neue Tendenzen), die wesentlich das Kunstschaffen, die Musik und auch den Kurzfilm in dieser Zeit praegte. Es war der Moment fuer eine neue Herangehensweise sowohl an die Kunst als auch an die Kritik. Neue Ansaetze entstanden, die ein Bewusstsein befluegelten, ueber die Funktion, Bedeutung, Ort und Rolle der Kunst in der modernen Gesellschaft nachzudenken.

Im Zuge dieser Entwicklung fanden zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen und Festivals statt und Zagreb entwickelte sich zu einem Zentrum der modernen Kunst in Europa. Die seit 1961 noch immer bestehende Internationale Biennale fuer Neue Musik, das Festival fuer experimentellen Film GEFF, das von 1963 bis 1969 alle zwei Jahre stattfand, das Internationale Animationsfilmfestival und vieles anderes entstand in dieser Zeit. Grosse Bedeutung kommt hier auch Toso Dabac und seiner bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Zagreb etablierten Schule fuer Fotografie zu, die wesentlichen Einfluss z.B. auf die Arbeiten von Enes Midzic, Marija Braut, Petar Dabac, die vieles aus dieser Periode dokumentierten.

Besonders jedoch wurde Zagreb zu einem Ort, an dem sich die Konzept-Kunst fokussierte und Kuenstler, Theoretiker, Ausstellungsmacher und interessiertes Publikum aus ganz Jugoslawien und dem Ausland zusammenkamen. Ein Drang nach der Moderne wurde spuerbar und die Stadt brachte zusammen, was damals und noch heute Rang und Namen hatte. Die Musik-Biennale praesentierte neben Penderecki und Ligeti auch John Cage und David Tudor. Schon frueh wurden die Filme Andy Warhols gezeigt, die Kunst Zeros und der Minimalismus wurden geradezu populaer, Tomislav Gotvac, einer Pioniere des Experimentalfilm veranstaltete erste Happenings und das konzeptuelle Theater erlebte eine Bluete.

Als einer der ersten Orte weltweit trat Zagreb 1969, in einer internationalen Ausstellung und einem Kongress zur Computerkunst in den "Dijalog sa strojem" (Dialogue with the machine) oder betrachte 1971 in der von Vera Horvat-Pintaric editierten "Televisija Danas" (Television Today) bereits experimentelle Formen des Massenmediums. In diese Zeit fiel auch die Planung der Film- und Fernsehabteilung der Akademie fuer Darstellende Kuenste, die dann im Jahre 1969 eroeffnet wurde. Auch markierte diese Zeit die Anfaenge der prozessuralen Videokunst in Jugoslawien, die, parallel zu anderen europaeischen Laendern, stimuliert durch die Auseinandersetzung im aesthetischen und theoretischen Umfeld die Einbindung der Kunst in das taegliche Leben betrieb.

Nach dem relativ liberalen Klima der Sechziger Jahre, setzte in den Jahren 1971/72 ein innenpolitischer Wandel in Jugoslawien ein. Der Staat reagierte mit restiktiven Massnahmen auf die staerker werdenden Tendenzen eines freien Denkens. Disziplinarische Aktionen trafen Filmemacher, Produktionshaeuser, Literaten, Kuenstler, Kritiker und Intellektuelle. Manche wurden aus ihren Positionen enthoben, zu Gefaengnis verurteilt oder mit Berufsverbot belegt. Der Protest gegen dieses Vorgehen, in dem auch Rufe nach groesseren Autonomie laut wurden, muendete in den "Zagreber Fruehling", als die Armee mit Panzern die Stadt umzingelte. Danach wurden besonders in Kroatien alle kulturellen Moeglichkeiten so drastisch gekappt, dass viele das Land verliessen und eine kuenstlerisch-intellektuelle Stagnation sich ab 1973 im Land ausbreitete.

Erst in der zweiten Haelfte der Siebziger Jahre und besonders nach Titos Tod im Jahre 1980 wird die Szene wieder lebendig. Zwei Videotreffen/Workshops in dieser Zeit hatten eine starke initiatorische Bedeutung fuer die Videokunst; die erste wurde 1976 von der Zagreber Galerie fuer zeitgenoessische Kunst in Motovun, einem kleinen Bergstaedtchen in Istrien organisiert, die zweite fand ein Jahr spaeter wieder in Istrien, aber diesmal in Brda statt. Hier bestand eine der seltenen Moeglichkeiten fuer jugoslawische Kuenstler erstmals eigene Arbeiten zu realisieren.

Moeglichkeiten ausserhalb des Fernsehens zu arbeiten, gab es nur wenige, da kaum technische Einrichtungen privat verfuegbar waren. Dies war auch ein Grund, warum viele der ersten Video-Kunst-Baender jugoslawischer Kuenstler im Ausland entstanden. Alle diese Kuenstler Sanja Ivekovic, Dalibor Martinis, Marina Abramovic, Goran Trbuljak, Nusa und Sreco Dragan, Boris Bucan und Tomislav Gotovac hatten einen Hintergrund aus der bildenden Kunst der Sechziger Jahre und brachten Erfahrungen aus Performance, Installation, Photographie, Film und Konzept-Kunst in ihre Arbeiten ein.

Am Ende der Dekade wurde auf Initiative von Ladislav Galeta das MM-Centar fuer Film/Video/Multimedia eroeffnet, das sich bald zu einem der Zentren in Jugoslawien entwickelte. Bis in die heutigen Tage wurden dort Filme, Videos, Expanded-Cinema-Aktionen gezeigt und diskutiert. Ein anderers wichtiges Ereignis war die CD-Video- Biennale in Ljubljana, die erstmals 1983 stattfand. Dort wurden nicht nur im internationalen Rahmen Arbeiten aufgefuehrt, sondern es bestand auch die Moeglichkeit dort Videoprojekte mit professioneller Technik zu realisieren. Solche Treffen, zu denen neben Kuenstlern aus den verschiedenen Republiken Jugoslawiens auch internationale Gaeste eingeladen waren, wurden spaeter dann auch in Sarajewo, Belgrad und im mazedonischen Skopje/Ohrid organisiert.

Waehrend die Technik der Siebziger Jahre, wie auch in anderen Laendern kaum Nachbearbeitungsmoeglichkeiten zuliess, wandelte sich die Situation in den Achtzigern, als die naechste Generation von Kuenstlern, mehr und mehr dazu tendierte, sich auf Video zu spezialisieren: Marina Grzinic & Aina Smid, Max Osole, Neven Korda, Zemira Alaibegovic, Breda Beban & Hrvoje Horvatic, Boris Miljkovic & Co Branimir Dimitrjevic-Tucko, Laibach und Borghesia.

In den Achtziger Jahren nahm Jugoslawien im Bereich der Videokunst sicherlich eine internationale Sonderstellung ein, da viele - auch international beachtete - Arbeiten, mit Hilfe eines der 6 jugoslawischen Fersehzentren produziert wurden und teilweise zu Hauptsendezeiten ein potentielles Publikum von mehr als 20 Millionen haetten erreichen koennen. Dunka Blazevic hatte auf diesem Feld mit der von ihr angefangenen TV-Gallery bei TV Beograd eine Pionierstellung inne und ermoeglichte von 1982-90 eine Vielzahl von kuenstlerischen Produktionen, die auch ueber die Fernsehstationen von Ljubljana, Skopje und Sarajewo realisiert werden konnten.

Anfang 1990 fanden dann in Slowenien und Kroatien die ersten freien demokratischen Wahlen statt, verbunden mit der Forderung nach groesserer Autonomie der Republiken von der Zentralregierung in Belgrad. Ungefaehr ein Jahr spaeter Ende Juni 1991 folgte der Ueberfall der jugoslawischen Armee auf Slowenien, kurz darauf der Krieg in Kroatien und ein knappes Jahr spaeter der Krieg in Bosnien-Herzegowina. Die weiteren Ereignisse und die daraus folgende Tragoedie sind leidlich bekannt.

Durch die jetzige katastrophale oekonomische Situation in Kroatien, sind manche kulturelle Institutionen wie Museen, Buehnen, Galerien, Produktionshaeuser, Archive und vieles anderes stark gefaehrdet oder stehen kurz vor der Schliessung. Fuer die Film/Video/TV-Ausbildung an der Zagreber Akademie fuer Darstellende Kuenste gibt es keine Mittel mehr, die technische Ausstattung ueberhaupt zu warten, geschweige denn zu erweitern. Studenten haben keine funktionierenden Kameras mehr und die Technik der Postproduktion kann wegen fehlender Ersatzteile nur sehr eingeschraenkt benutzt werden.

Da grosse Teile Kroatiens noch immer besetzt sind und manche Orte nur ueber lange Umwege oder per Flugzeug zu erreichen sind, sind viele direkte kulturelle Kontakte im Land abgebrochen. Trotzdem werden noch - man fragt sich oft wie? - audiovisuelle Arbeiten realisiert, die Engagement und Standard ihrer Autoren dokumentieren. Dies erscheint gerade in einer Zeit wichtig, in der sich eine Kultur der demokratischen Gesellschaft erst noch entwickeln muss, in der die staatlichen Medien aufgrund der Noch- Kriegssituation kaum Kritisches zulassen und sich somit noch einem anderen Blick versperren und daher auch wenig Interesse an solchen Arbeiten zeigen.

Doch kann man einen, wenn auch noch langsamen Aufbruch in eine Gegenoeffentlichkeit beobachten. Private Zeitungen und Magazine, wie z. B. Erasmus als intellektuelles Gegengewicht zur staatlichen Presse werden gegruendet oder bereits bestehende Einrichtungen wie OTV -Omladisnka Televisija (Jugendfernsehen), die eine eigene Frequenz fuer mehrstuendiges taegliches Fernsehprogramm haben und Radio Jedan bieten ein Forum fuer andere Nachrichten und andere Blickwinkel.

Die Ereignisse der letzten beiden Jahre haben nicht nur Einschnitte im oeffentlichen Leben hinterlassen, und, neben dem Bankrott der offiziellen Filmproduktion, einige Kuenstler zum Verlassen des Landes bewegt. Doch neben Sanja Ivekovic, Dalibor Martinis und Ladislav Galeta, die - wenn auch mit Unterbrechungen - noch in Zagreb leben und arbeiten, formt sich eine neue Generation von jungen Kuenstlern heraus, die einen frischen Zugang zu den Medien haben und trotz der unguenstigen Bedingungen interessante und anspruchsvolle Arbeiten realisieren. Simon Bogojevic-Nareth, Milan Bukovac, Slobodan Jokic, Vladislav Knezevic, Igor Kuduz, Tajana Tikulin u. a. , die auf Film und Video arbeiten oder die Gruppe um Zeljko Bozicevic, Ivica Franic, Aleksandar Ilic, Ivana Keser und Davor Pavelic, deren Arbeitsfeld zwischen Bildender Kunst und Medieninstallation angesiedelt ist. Da unabhaengige Produktionen meist nie vollstaendig vom Staat abhingen,suchen diese jungen Kuenstler ihre Moeglichkeiten bei privaten Videostudios, finden Sponsoren und machen selbst unter den momentan scheinbar unmoegliche Zustaenden einiges moeglich.

Seit 1990 gibt es in Zagreb den CAD-FORUM Kongress. Urspruenglich widmete sich dieses Symposium Fragen des Einsatzes elektronischer Medien in der Architektur.Im Mai 1991 kamen erstmals Medienkuenstler und -Theoretiker im Rahmen des internationalen CAD- FORUMS in Zagreb zusammen. Damals wurde die Rolle der elektronischen Medien in der kuenstlerischen Anwendung diskutiert und die Ausrichtung von MEDIA-SCAPE angeregt.

Erstmals 1993 fand dann Mitte Mai unter dem Motto "Integration of New Technologies" MEDIA-SCAPE 1 in Zagreb statt, als ein Forum fuer Kunst, Architektur und Medienkultur. Bereits begonnene Ansaetze und Fragestellungen sollen im folgenden Jahr bei MEDIA-SCAPE 2 unter dem Titel "Open Traditions" fortgefuehrt, abgerissene Traditionen zu den Laendern des ehemaligen Ostblocks wieder geknuepft und besonders um Fragestellungen der Rolle der Medien in den zukuenftigen Gesellschaften erweitert werden. Diese Veranstaltung ist fuer den Juni 1994 in Vorbereitung.