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BULGARIEN

Auszuege aus Rossen Milev, "Video in Osteuropa", Balkan Media, Sofia (Bulgarien) 1993:

"Eine Videokassette fuer fuenf Dollar kann eine groessere Auswirkung haben, als eine 50.000 Mann starke Armee", behauptete im Juni 1989 der tschechische Dissident Peter Kliwar in der Sendung Ted Koppels "Revolution in a box" im amerikanischen Sender NBC. (...) Eine aehnliche, sogar noch groessere Wirkung erzielte eine Videokassette in Bulgarien: Am selben Tag, an dem die tschechischen Machthaber in Prag zum letzten Mal den Versuch unternommen hatten, die demokratische Bewegung gewaltsam niederzuschlagen oder wenigstens einzuschuechtern, demonstrierten auch Tausende von Bulgaren vor dem Parlamentsgebaeude in Sofia fuer Freiheit und Demokratie, gegen die Alleiherrschaft der Kommunisten. Es war die erste bedeutende antikommunistische Demonstration nach dem Sturz des Diktators Todor Shivkov am 10. 11. 1989. Die Stimmung war extrem gespannt. Die Menge bis zum Aeussersten durch die Arroganz der Fuehrungs-Clique gereizt. Der neue Staats- und Parteichef Petar Mladenow wandte sich, nach einem gescheiterten Versuch,,,,, die Demonstranten zu breuhigen, dem Verteidigungsminister mit den Worten zu: "Lasst besser die Panzer kommen!" Dieser Satz wurde natuerlich nicht von der Menge gehoert, aber durch Zufall auf ein Videoband aufgenommen. Der Regisseur Evgeni Mihailov war mit seiner Videokamera vor Ort, um die Ereignisse zu filmen und war in diesem Moment in der Naehe der Parteibosse. Dieses Videoband wurde zu einer Zeitbombe. Als der Wahlkampf zwischen ehemaligen Kommunisten und Opposition in vollem Gange war, strahlte die Opposition in einem ihrer Wahlstudios im Fernsehen im Juni 1990 diese Videoaufnahme aus. Der Praesident musste zugeben, dass ein solcher Satz aus seinem Munde nur im Moment von aeusserster Nervositaet im Affekt gefallen war. Aber seine Parteifreunde und Wahlstrategen hatten ihm offenkundig eine andere Strategie vorgeschlagen: Die Echtheit der Aufnahme zu bezweifeln, zu verneinen, je einen solchen Satz gesagt zu haben. Ein Verhalten, das ihm nicht nur den hoechsten Staatsposten, sondern auch die persoenliche Ehre kostete.

Die Kommunisten versuchten zuerst, die Luege zu verbreiten, dass die Aufnahe manipuliert und "verarbeitet" worden sei, dass in Houston im NASA-Zentrum durch amerikanische Spezialisten eine solche Bewegung der Lippen von Mladenov auf elektronischem Wege modelliert und dann in die Aufnahme montiert worden sei. Gegen den Regisseur Evgeni Mihailov wurde eine regelrechte Hetzkampagne organisiert, sogar ein Verfahren wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes eingeleitet. Aber diese Strategie alten Schlags konnte in der neuen Zeit wenig bewirken. Eine unabhaengige Expertenkommission stellte trotz des massiven Drucks seitens der Regierung die Echtheit der Aufnahme fest. Im ganzen Land und vor allem in der Hauptstadt Sofia begann eine Welle von Demonstrationen und Hungerstreiks, die den sofortigen Ruecktritt von Mladenov forderten. Langsam entwickelte sich die Geschichte zu einem Skandal vor den Augen der internationalen Oeffentlichkeit. Man konnte verstehen, dass ein Praesident im Affekt auch etwas sonderbares aeussert, nicht aber, dass er vor den Augen der Welt sein Volk beluegt. Am 6. Juli 1990 musste der "Reformkommunist" dem Parlament seine Demission anbieten. Sein Nachfolger wurde der Oppositionsfuehrer Shelju Shelev, der erste nichtkommunistische Praesident nach 45 Jahren stalinistischer Alleinherrschaft. (S. 57ff.)

In Bulgarien sind nach 1989 die Hoffnungen von den staatlichen Videoorganisationen voll und ganz auf private Initiativen und autonome Kuenstler uebergegangen. Der interessanteste ist zweifellos (neben Todor Blagoew, dem Alt-Experimentafilmer und Autor des "dynamischen Poly-Images") Peter Petrow, der eigentliche Pionier der bulgarischen Videokunst. Der talentierte Maler und Ingenieur experimentierte zuerst im Sofioter "Klub fuer Phantastik und Prognostik", bevor er ein eigenes Studio aufbaute. Sein Experimentalvideo "Internes Licht" (1991), ein "transversaler Relaxraum", markant vor allem durch die harmoniswche Einbeziehung von selbstkomponierter Musik in eine "relaxierende" Farbenwelt, beweist, dass grosse Talente immer eine internationale Entwicklung aufzuholen und auf ihrer Hoehe zu sein. Im Januar 1992 organisierte die Sofioter Galerie "Cathy" gemeinsam mit der Assoziation "Balkanmedia" die erste nationale Ausstellung elektronischer Kunst, in der die Arbeiten Petrows eine zentrale Rolle spielten. Im selben Jahr folgte er auch einer Einladung zu einem UNESCO- Seminar an der Kunsthochschule fuer Medien in Koeln, wo er sich fuer die Unterstuetzung eines seiner neuen Projekte, dessen Ausfuehrung sich auf die elektronischen Bearbeitung von Fluessigkristall- Kompositionen stuetzt, aussprach. Mit der Ausfuehrung dieses Projektes wird vorraussichtlich noch in der ersten Haelfte 1993 begonnen.

Dass die Videokunst aber nicht immer einen Sprung auf das Niveau gegenwaertiger Tendenzen zu schaffen in der Lage ist, sondern auch bestimmte Etappen, wie sie sich im Westen seinerzeit artikulierten, wenn auch mit Verspaetung zu durchlaufen hat, beweist das Schaffen anderer bulgarischer Kuenstler. So z.B. die von der jungen Videokuenstlerin Daniella Nenowa inspirierte B@\242dy- Art Gruppe, die auch mit dem Medium Video arbeitet. Die im November 1992 organisierte Ausstellung von Videoarbeiten dieser Gruppe in der Sofioter Galerie "Lessedra" zeigte, dass sich die Kuenstler bei ihren Performanceaktionen sich des Mediums Video vor allem reproduktiv bedienen und Video als Mittel kuenstlerisch- analytischer Selbstbeobachtung benutzen - etwas, was man seinerzeit in der fruehen Periode der Etablierung von Video als Kunst-Instrumentarium beobachten konnte. Das Publikum in Sofia verfolgte diese Aktion mit jener Anteilnahme, wie sie seinerzeit auch das Szene-Publikum im Westen zeigte. (S. 144f.)

(Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Rossen Milev entnommen aus seinem Buch "Video in Osteuropa", Balkanmedia, Sofia 1993)